Mein erstes Mal - Dzambala.at

Mein erstes Mal

Im Jahr 1995 war es endlich soweit. Ich reiste zum ersten Mal nach Indien. Geplant war ein Aufenthalt von zirka 3 Monaten, wobei ich zuerst Nepal und dann Indien erkunden wollte. Ein Gebiet Indiens, wo ich nicht hinwollte, war Kaschmir. Kurz bevor ich abreiste wurde eine Gruppe Touristen entführt und ein Norweger in Folge von Rebellen enthauptet. Was mit den anderen Entführungsopfern geschehen ist, weiss ich leider nicht. Auf alle Fälle dachte ich, es ist nicht unbedingt das Klügste mich auf meiner ersten Indienreise in eine politische sensible Region zu wagen. Es war sogar so, dass ich allen, von denen ich mich vor meiner Reise verabschiedete, erzählte, dass ich zwar überall in Indien herumreisen wollte, aber eben sicher nicht in Kaschmir. Meine Reise sollte in Katmandu, Nepal, beginnen und über den Landweg nach New Delhi und letztendlich wieder nach Wien führen. Natürlich kam alles anders als gedacht.

Am Flughafen in New Delhi angekommen, stellte ich, beziehungsweise das Bodenpersonal von Air India fest, dass mein Flugticket nach Katmandu nicht bestätigt war. So war ich erst mal etwas verdutzt und hatte keine Ahnung was ich nun tun sollte. Im Flieger las ich in meinem Reiseführer alles mögliche über Nepal, wie und wo ich was auch immer bekomme, ansehen oder erleben konnte. Ebenfalls erfuhr ich einiges worauf ich aufpassen sollte, damit mir nichts unangenehmes geschehe, obwohl man das sowieso nie ausschliessen kann, aber zumindest das Risiko wollte ich dadurch verringern. Ich war ja alleine unterwegs und auf mich selbst gestellt und konnte mich nur auf mein eigenes Geschick verlassen. Und noch nicht mal richtig angekommen, schien es so als ginge schon alles schief. Nun gut dachte ich, was sollís, irgendwie muss es ja weitergehen. Und ich war unbedarft und hatte Glück.

Da war so ein freundlicher etwas dickerer Inder, der mir helfen wollte... Ich war entsetzlich müde und fertig, weil ich die Nächte zuvor wenig bis nichts geschlafen habe, wahrscheinlich wegen meiner Nervosität vor der Abfahrt, was heisst wahrscheinlich? Definitiv deswegen !
Somit war ich umso glücklicher einen netten Menschen zu treffen der buchstäblich diese viel gerühmte asiatische Hilfsbereitschaft inne hatte. Mit seinen grossen braunen Augen sah er mich wissbegierig an und begann auch sogleich einiges über mich in Erfahrung zu bringen. Woher ich denn komme, ob ich verheiratet bin, was mein Vater beruflich machte und ob ich das erste mal in Indien sei. Ich war wirklich froh, dass dieser Mensch, sein Name war Raju, so reges Interesse an mir zeigte und fühlte mich gut aufgehoben. Anfangs war es etwas schwierig mich an dieses indische Englisch zu gewöhnen aber nach einer Weile konnte ich ihn sehr gut verstehen und er auch mich, obwohl mein Englisch auch seltsam anzuhören gewesen sein musste, wegen dem starken österreichischen Dialekt und meiner teilweise falschen Anwendung der Grammatik. Aber es ging und wie es ging, wir hatten viel zu Lachen und fühlten uns beide sichtlich wohl und fast schon seelenverwandt. Ich dachte bei mir selbst: super, da komm ich nun das erste Mal nach Indien, hab mein erstes Problem, weil ich nicht weiss, wie ich nun schnell nach Nepal kommen soll, und dann treff ich diese Seele von Mensch.

Er meinte wir fahren mit seinem Freund zum nächsten Tourist Office und dort können wir dann das Ticket bestätigen lassen und vielleicht schon am nächsten Tag nach Kathmandu weiterfliegen. Wir gingen aus dem Flughafengebäude hinaus.
Das erste wahnsinnig Sinnliche was mir in Indien auffiel, war dieser Geruch. Ich kann nicht genau sagen was es war was mich so faszinierte. Ich kann nicht einmal bestimmen wonach es denn roch. Irgendwas lag da in der Luft. Kann man Hitze riechen ? Bis dato war mir das nicht bewusst und es muss wohl diese Hitze gewesen sein, die mein Näschen so verzückte. Es war aber auch was Süsses zu vernehmen. Und da kam mir der schockierende Gedanke ob da vielleicht Leichen herumliegen und Menschenfleisch nicht modrig roch, sondern süss. Angeblich soll ja menschliches Fleisch süsslich schmecken, vielleicht riecht es ja auch so. Ich konnte das aber nicht glauben. Mir fielen die Geschichten über die Heiligen ein, die einen blumigen Geruch ausströmen sollen, wenn sie tot sind, und da ja Indien von Spiritualität geprägt sein soll, würde das wieder ins Bild passen. Ja genau, es mussten indische spirituelle Menschen sein, die irgendwo um das Flughafengebäude rumliegen, weil sie vor kurzem dort verhungert sind oder weil sie irgendeine bakterielle Seuche dahingestreckt hat.

Ich fragte zwar meinen indischen Freund danach, aber er meinte nur, es sei nichts aussergewöhnliches zu vernehmen, hier riecht es immer so.
Klar, an das Leid und Elend und ihren Auswirkungen gewöhnt man sich natürlich im Laufe der Zeit und bei einem Inder sollte mich dies auch nicht weiter wundern. Gelten doch alle Inder als sehr gelassen und mit dem Schicksal nicht hadernd.

Er führte mich in den ersten Stock des Nebengebäudes zum Tourist Office, aber das war geschlossen, es war schliesslich zwei Uhr morgens. Aber das war kein Problem, Raju hatte noch einen anderen Freund, der ebenfalls ein Tourist Office mitten in Dehli betrieb. Ich sagte ihm, das ich noch kein Geld gewechselt habe, aber das war auch kein Problem, das kann ich ebenfalls bei seinem Freund erledigen und noch dazu bekäme ich dort einen besseren Kurs als in den Wechselstuben der Banken am Flughafen.
Raju musste es ja wissen, er lebt hier und kennt die Kurse genau. Dies versicherte er mir jedenfalls. Wir gingen durch ein schaurig dunkles Treppenhaus wieder hinaus zum Taxistand. Da fiel mir dieses seltsame Rot in den Ecken auf. War das Blut ? Das Blut der spirituellen indischen Heiligen ? Wurde hier jemand ermordet ? Vielleicht ein ahnungsloser Tourist dessen Flugticket nicht bestätigt war und der einem freundlichen Inder ahnungslos vertraute ?

Nun bekam ich es mit der Angst zu tun. Mein Körper verkrampfte und beunruhigende Fragen erschütterten meinen Geist. Kann ich Raju vertrauen ? Meint er es gut mit mir ? Kommen gleich noch mehr Freunde von ihm, die mich ausrauben oder schlimmeres mit mir machen wollen ? Werden sie mein Blut trinken ? Ich beobachtete ihn intensiver als jede Sekunde zuvor. Mir fiel zum ersten Mal auch sein leicht schmutziges Hemd auf. Und Ja da waren auch diese roten Blutspritzer drauf. Raju las wohl meine Gedanken, als er mich beruhigte und sagte "Dont worry, no problem!" und deutete auf die roten Blutspritzer. Er lachte schallend mit weit aufgerissenem Mund und da sah ich sie. Er hatte rote lange Zähne. Sein Zahnfleisch sah ebenfalls etwas zerfressen aus, so als ob er zu lange an spitzen Knochen genagt hätte. Ist er ein spiritueller Menschenfresser ? Einer, der seine Opfer auch noch übern Feuer brutzeln lässt, was wiederum den süsslichen Duft erklären würde.

Ich war müde, ich war so müde und wollte nur noch dass das Ticket bestätigt wird und ich ein Hotelzimmer finde, wo ich mich ausschlafen kann.
So beschloss ich nicht mehr an Gräueltaten zu denken und Angst nicht mehr an mich heran kommen zu lassen. Warum sollte mir auch derartiges passieren ? Ich habe nie jemandem wissentlich Leid zugefügt und zu meiner esoterischen Autoerziehung und meinem Weltbild würde das überhaupt nicht passen.
Ich lebte immer nach dem Motto: "Was Du nicht willst, dass Dir geschieht das füge auch keinen anderem zu und deshalb kann es Dir auch nicht passieren..."
Der letztere Teil war eine Erfindung von mir.

Ich starrte immer noch auf die blutrot gefärbten mit schwarzen Karies verzierten Löcher in Rajus Mundhöhle. Dann klärte er mich auf:
Es handle sich bei den roten Farbspuren um das Ausgespuckte der sogenannten Betelnuss, welches man paan nennt. Dies ist eine Mixtur aus Kräutern, Gewürzen und manchmal auch Opium oder Kokain oder auch anderen Drogen. In Indien nehmen das fast alle Männer und hat eine sehr weit zurückgehende Tradition ñ gilt auch als Muntermacher, ist aber äusserst schlecht für das Zahnfleisch. Paradoxerweise nehme es viele Inder, auch Frauen, für die Mundhygiene. Es gab und gibt sogar immer noch Betelnussmänner (paanwallahs), die ausschliesslich für die Maharadschas und Maharanas gearbeitet haben und geheime Rezepturen für ihre Betelnussmischungen besitzen. Es soll sogar wahre Meister ihres Faches geben, die auch Gold, Silber und Diamantenstaub ihren Ingredienzien beimischen. Und wirklich reiche Inder sollen auch Unsummen an Rupien für diese Köstlichkeiten bezahlen. Das fertige Produkt wird in einem zusamengerollten Blatt dem Kunden übergeben, der es sich sogleich in den Mund schiebt und daran herumzukauen beginnt, bis er es schliesslich wieder ausspuckt, meistens in irgendeine Ecke und dementsprechend sehen viele Ecken Indiens blutdurchtränkt aus.

Ich war wirklich beruhigt. Die Spannung wich aus meinem Körper und die Müdigkeit kam wieder zurück. Ok, schnell zum Tourist Office, die Sache mit dem Flugticket erledigen und dann ins Hotel schlafen.

Beim Tourist Office angekommen, wurde ich sogleich wieder misstrauisch.
Dieses Tourist Office sah eher so aus als eine mit alten Brettern schnell zusammengehämmerte Hütte. Ich stellte mir das im Vorfeld schon etwas anders vor, aber es hing ein grosses Schild über dem Laden, wo Official Tourist Office draufstand. Schon bei der Taxifahrt konnte ich feststellen, dass westliche Standards ihre Gültigkeit verloren haben. Ringsum war alles dunkel und ab und zu konnte ich ein paar dürre, vom Leben gezeichnete Menschen in schmutzigen Leinen erspähen. Die meisten lagen regungslos neben der Strasse, aber andere blickten in meine Richtung und wollten zu mir kommen. Raju sagte irgendetwas auf indisch in deren Richtung und sie legten sich wieder hin. Seltsamerweise musste ich in diesem Moment an diverse Zombiefilme denken... Wollten die irgendwas von mir ? Ich konnte es vielleicht zu meinem Glück nicht rausfinden. Raju schien mich zu beschützen. Die Betonung liegt auf "schien". Kann es sein, dass er bloss seinen Besitzanspruch kund tut und ich SEINE Beute bin und die anderen mich in Ruhe lassen sollen, sonst passiere irgendwas... nein. wir haben uns ja inzwischen auch miteinander unterhalten und verstehen uns gut und wir wissen beide um unseren Vorteil in der Zusammenarbeit. Wobei ich heute denke, dass Raju mehr an seinen Vorteil dachte, aber dazu kommen wir später noch.

Wir gingen ins Tourist Office hinein. An den Wänden hingen lustige Bilder mit bunten Figuren. Bei näherem Betrachten waren die Bilder aber auch gar nicht mehr so lustig. Einige Protagonisten tanzten auf Leichen und verspeisten diese sogar. Andere wiederum hatten ein sehr freundliches Gesicht und wirkten milde in ihrem Gesichtsausdruck und ihrer Körperhaltung ñ nahezu trostspendend und ich beschloss, mich auf die Warmherzigen zu konzentrieren. Das gelang mir allerdings nicht sehr lange. Ich wurde wieder überhäuft mit allerlei Fragen zu meiner Familie, Beruf und Freundin. Eigentlich dieselben Fragen, die mir Raju schon gestellt hatte. Der Freund von Raju und Chef des Offices schickte einen jungen Inder raus auf die Strasse zum chai holen. Der kam auch gleich wieder mit einem Tablett voll mit dampfenden Teegläsern zurück und so bekam ich meinen ersten indischen Tee kredenzt. Er schmeckte köstlich und war extrem heiss.

Vor lauter Nervosität schüttete ich mir den Tee über meine Jean und zwar genau über den Genitalbereich - ich schrie laut auf. Die Inder, es waren fünf oder sechs an der Zahl, lachten schallend und für kurze Zeit kam ich mir wie in einem Bierzelt vor, als sie so schenkelklopfend lustige Laute von sich gaben. Sie sprachen irgendwas auf indisch untereinander. Ich hatte den Eindruck, sie amüsierten sich über meine Ungeschicklichkeit und befanden aufgrund meines ganzen Verhaltens und meiner Unsicherheit, die offensichtlich war, ich wäre ein leichtes Opfer für allerlei Betrügereien, die sie mit mir anstellen könnten.

Und da meldete sich wieder Raju und leitete die Klärung nach meinem Ticket ein. Ich bekam das Telefon in die Hand gedrückt und wählte eine Nummer, die sie mir gaben, die Hotline von Indian Airlines. Am anderen Ende meldete sich eine angenehme weibliche Stimme. Die Bestätigung des Tickets erfolgte ruckzuck telefonisch, allerdings bekam ich den Flug erst in einer Woche. Heute weiss ich, dass es ein fingierter Anruf war, und die freundliche Dame nicht zur indischen Fluglinie gehörte. Ich dachte, wenigstens kann ich nach Kathmandu weiterfliegen und da ich inzwischen schon Bekanntschaft mit Raju geschlossen hatte, wird er mir sicherlich Tipps geben können, wie ich die Zeit bis dahin überbrücken könnte. Ich musste ihn nicht einmal fragen.

Sein Freund offerierte mir sofort einen Hausbooturlaub an einem See im Norden. Die Landschaft soll atemberaubend schön sein und man kann sogar den zweithöchsten Berg der Welt, den K2, sehen und wenn ich Lust habe, könnte ich trekken gehen. Er zeigte mir Fotos, und das sah alles sehr ordentlich und interessant aus. Der Preis war wider meinem Erwarten relativ hoch. Er erklärte mir, dass sich in Indien sehr viel verändert habe und Indien nicht mehr so billig ist, wie es oft im Westen erzählt wird. Trotzdem war mir der Preis zu hoch und so gab er mir Rabatt und bot an, dass ich bis zum Abflug nach Srinagar, Kaschmir, gratis in Delhi in seinem Haus schlafen kann. Ich willigte ein. Ich dachte mir nicht viel dabei, als ich ihm meinen Pass gab. Er brauchte ihn um das Ticket für diesen Flug zu buchen. Müde und extrem schlapp war ich immer noch und der Tee half auch nichts um meine Lebensgeister zu erwecken. Ich hatte sogar das Gefühl, der Tee machte mich noch mehr matt.
Egal, mit Raju fuhr ich in einer Autorikshaw in die Gratisbleibe in Delhi.

Es dauerte noch mal eine halbe Stunde und wiederum versuchten Leute von den Strassen zu mir zu kommen. Manche schafften es und zupften an mir rum, bettelten um Geld oder Essen, aber ich hatte ja nichts von beiden, und es war mir extrem unangenehm. Diese geplagten Gesichter und zerschundenen Körper in ihren schmutzigen Leinen konnte ich so schnell auch nicht vergessen. Angekommen, bekam ich ein Zimmer, dass eigentlich ein Durchgangszimmer zwischen Küche und Wohnzimmer war und keine Türen hatte. Möbel fehlten gänzlich und der Verputz fiel von der Decke. Zumindest gab es einen Teppich und im Halbdunkel konnte ich nicht erkennen, ob er schmutzig war. Ich hatte ohnedies Mühe meine Augen offenzuhalten und sagte zu allem Ja und Amen. Ich schlief schnell ein.

Am Morgen, nur ein paar Stunden später, weckte mich Raju auf, damit wir zum Flughafen fahren um den Flieger nach Sringagar zu besteigen. Ich hatte etwas Kopfweh und irgendwas machte mich skeptisch.Ich erinnerte mich wieder warum ich den Namen Srinagar von früher kannte. Das war doch der Ort in Kaschmir,wo ich keinesfalls hinfahren wollte, und ab diesem Moment läuteten bei mir die Alarmglocken. Andererseits hatte ich nun ein bezahltes Ticket und ein gebuchtes Hausboot, das auf mich wartete. Ich dachte, ach was solls, ich bleib ja nur eine Woche und wenn ich gut auf mich aufpasse, wird schon nichts passieren. Ich hielt an meiner persönlichen Philosophie fest und vertraute auf mein Glück. Ausserdem sagte mir Raju, dass ich von Freunden in Srinagar empfangen werde, die sich um mich kümmern werden.

Nichtsdestotrotz fragte ich am Flughafen einen Sicherheitsbeamten und Soldaten, von denen einige anzutreffen waren, ob es denn sicher sei in Kaschmir. Alle grinsten mir nur ins Gesicht und beruhigten mich, dass alles in Ordnung ist und Friede, Freude, Eierkuchen in Kaschmir herrscht. Ich bestieg das Flugzeug, schnappte mir ein paar Zeitungen für den Flug und schon hob die Maschine vom Boden ab. Die Maschine war sehr voll und so dachte ich auch, dass es nicht wirklich Probleme geben kann, wenn so viele Leute und Familien im selben Flieger sitzen.

Es war kein Direktflug. Die Maschine musste in Amritsar zwischenlanden.
Viele Passagiere stiegen aus und nur ein paar blieben. Die neuen Fluggäste waren hauptsächlich Militärangehörige und Journalisten mit Kameras. Ich begann die regionalen Zeitungsartikl zu lesen und stellte zu meinem Erschrecken fest, dass am Tag zuvor ein hoher Politiker in Srinagar durch ein Bombenattentat getötet worden ist. In Srinagar war Ausgangssperre. Panik kam in mir auf und ich wollte doch nicht mehr nach Srinagar. Doch es war zu spät. Wir befanden uns bereits wieder auf der Startbahn und die Triebwerke heulten schon auf zum Starten.

Mir gingen viele verwirrende Gedanken durch den Kopf und ich erinnerte mich, dass ich ja gesagt hatte, ich will in ganz Indien herumreisen, aber eben keinesfalls nach Kaschmir. Irgendwie konnte ich es mir überhaupt nicht erklären, warum ich plötzlich in dieser Situation war. War es die Müdigkeit oder blosse Dummheit, dass ich mich hierher navigiert habe. Oder haben mich Raju und seine Freunde dermassen manipuliert ? War da was im Tee ? Ich hatte gar kein gutes Gefühl mehr, und nahm mir vor, nichts mit den Leuten zu tun haben zu wollen, die mich vom Flughafen abholen sollten. Kurz vor der Landung konnte ich sehr viel Militärfahrzeuge am Boden sehen. Beunruhigung und Zweifel bestimmten meine Gedanken. Nun gut, es galt das Beste aus der Situation zu machen.

Nachdem ich vom Flugzeug ausgestiegen war, fragte ich am Infoschalter, wo denn gute Hotels seien und wie ich da am besten hinkomme. Ich erzählte die ganze Geschichte und erntete seltsame Blicke. Ich bekam nur die Auskunft ich solle mir ein Taxi schnappen und in die Stadt fahren. Da gibt es genug Hotels und Hausboote, wo ich wohnen könnte. Was ich nicht mitbekommen hatte, hinter mir stand ein grosser Mann mit blonden Haaren in weissem Gewand, der plötzlich deutsch zu sprechen begann. Es dauerte nicht lange und ich erkannte an seinem Dialekt dass er Schweizer war. Er sagte, er kann mir helfen und ich solle mit ihm mitkommen, Ein Freund von ihm hat ein Hotel, wo ich einchecken kann. Diese Story kommt mir doch bekannt vor, dachte ich. Aber da mir nichts besseres einfiel, folgte ich ihm. Beim Ausgang sah ich ein paar Inder, die ein Schild mit meinem Namen hielten. Der Schweizer sagte, ich soll keinesfalls mit denen mitgehen. Mit dem Argument, die führen nichts Gutes mit mir Im Schilde, verstärkte er seine Aussage.

Mit dem Taxi gings dann Richtung See. Die Stadt war menschenleer und alle zwanzig Meter stand ein Soldat mit dem Maschinengewehr im Anschlag. Bei einer Strassenspeere wurde mein gesamtes Gepäck gefilzt. Sogar die Thermosflasche musste geöffnet werden. Ich befürchtete schon eine Leibesvisitation, aber zum Glück kam es nicht soweit. Kurz danach sagte der Schweizer "So, nun sind wir in einem Gebiet, wo sich nicht einmal die indischen Soldaten wagen." Wir gingen zu Fuss weiter und nach unzähligen engen Gassen und Ecken erreichten wir ein Haus direkt an den Wasserkanälen, die den See umgaben. Ein Mann mit herzhaftem Lachen und weit geöffneten Armen ging uns entgegen.

Abdul, der Freund von dem Schweizer, empfing uns auf eine Art und Weise wie man wirklich nur gute Freunde empfängt. Ich dachte, nun wird alles gut und ich bin hier sicher und muss nicht befürchten, entführt zu werden. Nach ein paar höflichen Floskeln und dem Beantworten einiger Fragen, wo ich denn herkomme, was meine Eltern machen und ob ich verheiratet bin und Kinder habe, bekam ich eins der leckersten Hühnchen, die ich je gegessen habe. Zuvor zeigte mir Abdul mein Zimmer, wo ich erst mal mein Gepäck lassen konnte. Es war relativ gross und hatte ein eigenes Badezimmer. Schmutzig war es auch, aber das war mir ziemlich egal. Auch die indische Toilette, die etwas müffelte, konnte meine inzwischen zurückgekehrte gute Laune nicht vertreiben. Es dauerte allerdings nicht lange und mir wurde der Nachtisch serviert.

Im Hof konnte ich lautes Geschrei hören und Abdul stand in der Tür und fragte mich, ob ich denn ein Hausboot gebucht hätte und dass es ein Problem gibt. Die Leute vom Flughafen fanden mich und wollten mich auf ihr Hausboot mitnehmen. Sie hatten wirklich finstere Gesichter und schnappten mich an meinem T-Shirt und sagte nur "Los, komm mit, du hast ein Hausboot gebucht und wir bringen dich nun dahin". Ich wehrte mich, stiess sie zurück. Der Schweizer kam nun auch dazu und es begann ein Gerangel und eine Schreierei zwischen den Kaschmiris, mir, dem Schweizer und Abdul. Im Endeffekt liessen sie dann doch von mir ab. Aber sauer waren die. Naja, sie verloren ihre Beute, mich, und mussten wieder abziehen. Und ich war heilfroh, dass ich ziemlich glimpflich aus dieser Situation rausgekommen bin. Das Geld, das ich ja bereits in Delhi bezahlt hatte, war zwar weg, aber, wie mir der Schweizer später erzählte, sollte ich froh sein, dass es nur das Geld war und ich nicht mehr verloren hatte. Er berichtete mir auch, dass dies sehr oft vorkommt, und das immer wieder ahnungslose First Time Indientoursiten auf diese Art hierher verschleppt werden und ihnen dann im Laufe der Zeit entweder zu überteuerten Preisen ihr ganzes Geld beim Kauf von verschiedenen Dingen abgeknöpft wird, wenn sie auf den Hausbooten festgehalten werden, oder einfach beraubt werden oder schlimmeres.

Heute weiss ich, dass ich wirklich zu einer sehr blöden Zeit in Srinagar war. Von anderen Reisenden hab ich auch Gutes gehört, aber auch ähnliche Geschichten. Das Gute an meiner Geschichte ist, dass ich eine sehr schöne Woche erlebt habe. Der Schweizer und ich fuhren mit dem Kanu durch die Wasserkanäle, wir besuchten viele ansässige moslemische Familien, bei denen ich eine Gastfreundschaft genossen habe, die man normalerweise anderswo sucht. Die Landschaft ist wunderschön und die englischen Hausboote, die nach der Unabhängigkeit Indiens dort verblieben, üben einen besonderen Reiz aus, tatsächlich auf einem dieser Boote Urlaub zu machen. Wermutstropfen sind die hohe Präsenz des indischen Militärs mit all den Sandsäcken an neuralgischen Punkten und Schüsse in der Nacht, die man hören konnte und einem nicht gerade das beste Sicherheitsgefühl gaben.

Zu erwähnen wäre da auch noch mein geisterhafter Marsch durch die Stadt. Auf einem Platz hatte sich eine grössere Menschenmenge versammelt und die gegen Indien protestierenden Demonstranten schrien laut herum und schwangen ihre Holzknüppel durch die Lüfte. Wir mussten aber da vorbei und ich fasste mir ein Herz und wir liefen einfach mitten durch, der Schweizer lief voraus. Wenn Schüsse fallen, meinte er, soll ich schnell hinter die nächste Mauer hüpfen oder einfach das tun, was er macht. Es war komisch, aber all die Leute schienen mich nicht wahrzunehmen und ich fühlte mich wie in einer unsichtbaren Blase. Grimmige Gesichter, Geschrei und die ersten Schlägereien gingen schon los. Zeitweise dachte ich der Knüppel, der gerade in meine Richtung zeigte, kann mich gar nicht mehr verfehlen. Aber es passierte nichts. Auf dem Rückweg war der Spuk auch schon wieder vorbei und viele Soldaten hatten nun den Platz eingenommen, kontrollierten meinen Pass und liessen uns weiter ziehen. Und warum spazierte ich da überhaupt herum ? Ich musste zur indischen Airline um mein Ticket nach Delhi zu organisieren.

Der Schweizer meinte, ich sollte wieder nach Delhi fliegen und von dort den Flieger nach Nepal nehmen und mich erst mal ein bisschen eingewöhnen und vor allem meine Blauäugigkeit ablegen und vorerst niemandem vertrauen. Er gab mir auch eine Hoteladresse in Delhi. Von da an fühlte ich mich für den Reister meiner ersten Indienreise sehr sicher und ich hatte eine tolle Zeit. Auch wenn es noch dauern sollte bis ich mich in dieses Land und ihre Menschen verlieben konnte, aber das ist eine andere Geschichte.

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Kommentar von Brigitte |

Das ist eine spannende Geschichte. Hab gar nicht gewußt, dass Du so gefährlich gelebt hast ......
Auf jeden Fall animiert es mich nicht, hinzufliegen :-)